Wir leben in einer Demokratie. Die Macht geht nach Definition vom Volk aus. Gleichzeitig beschleicht uns ein Unbehagen, wenn wir an die Entscheidungsfindungsprozesse im Parlament denken.
Handelt es sich bei den Ausführenden wirklich um diejenigen, die gewählt wurden oder doch eher um milliardenschwere Vertreter wesentlich speziellerer Interessen? Das Stichwort heisst Lobbyismus.
Lobbyismus produziert das Bild von dunklen Hinterzimmern, illegalen Machenschaften und Korruption. Es ist aber einfach nur Ausdruck von Interessen, die von Verbänden und Einzelpersonen, verfolgt werden. Auch Gewerkschaften oder der Verbraucherschutz, also Institutionen, die nicht im Verdacht stehen, Macht über das Volk auszuüben, sondern es vor unlauteren Machtinteressen schützen wollen, betreiben Lobbyismus. In der Schweiz ist Lobbying gang und gäbe - und zwar direkt an den Schalthebeln der Macht: in den vielen Hinterzimmern im Bundeshaus in Bern.
Jeder Parlamentarier, ob Nationalrat oder Ständerat, kann zwei beliebigen Personen einen sogenannten Badge aushändigen, welcher freien Zugang zum Bundeshaus gewährt. "Günstlinge" können sich fortan, dank des Badges, frei im Bundeshaus bewegen. Diese Lobby-Badges sind bei Lobbyisten entsprechend heiss begehrt. Erleichtern sie deren Arbeit doch erheblich. Nicht selten wird auch nachgeholfen, um die Gunst eines Parlamentariers bzw. einer Parlamentarierin zu erwerben.
Die einflussreichste und mächtigste Bundeshaus Lobby im Schweizer Parlament (Nationalrat + Ständerat) ist die Economiesuisse-Gruppe Industrie+Handel mit 50% ALLER Parlamentarier in Bern.
Kann man als Wähler einer offensichtlich zur Schau gestellten direkten Demokratie Vertrauen schenken?
Inhalt:
Aus der Kombination von Demokratie und Lobbyismus entsteht das Wort Lobbykratie. Per Definition versteht man unter Lobbykratie die Herrschaft der Interessenvertreter.
Wer sind diese Interessenvertreter in der Schweiz? Wessen Interessen vertreten sie im Bundeshaus in Bern? Und vor allem wie vertreten sie diese?
In unserer repräsentativen Demokratie sollen die Abgeordneten für ihre Wähler, das Volk, entscheiden. Schon daraus ergibt sich ein heterogenes Gemenge von Interessen, die sie zu vertreten haben. Dazu kommt noch die ganz persönliche Motivation, sich überhaupt zur Wahl zu stellen.
In Wahrheit halten die gewählten Schweizer Politiker, nebst ihren offiziellen politischen Ämtern, oftmals noch in diversen Lobbygruppen Einsitz, die ganz bestimmte Interessen verfolgen. Stellt sich die Frage: Wen vertritt ein Politiker letzten Endes bei der Gesetzgebung - den Wähler oder die Lobbygruppe?
Lobbygruppen sind zumeist einflussreiche Verbände, Organisationen und Zusammenschlüsse finanzstarker Wirtschaftsparteien und Unternehmen. Nicht selten milliardenschwere Konzerne und globale Player wie zum Beispiel:
Da liegt der Verdacht nahe, dass in der Regel ganz eigene Interessen dahinter stecken, die sich aus ihrer Mitgliedschaft in entsprechenden Verbänden ergibt.
In Deutschland beispielsweise führt der Bundestagspräsident eine öffentliche Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern, von der sich allerdings keine direkte Einflussnahme ableiten lässt.
Gleichwohl schreiben Interessenverbände über Vertreter in Ausschüssen an Gesetzesentwürfen mit. Entweder direkt durch «eigene» Abgeordnete oder Berater, die nicht wirklich unabhängig aber angesichts der Komplexität der Themen in den entsprechenden Ausschüssen nötig sind.
Unternehmensverbände, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, sonstige Verbände aber auch grössere Unternehmen und Einzelpersonen betreiben Lobbyarbeit. Sie unterhalten Hauptstadtbüros, leisten Öffentlichkeitsarbeit und informieren. Durch das Lobbying entstehen wertvolle Netzwerke.
Bei Einladungen und Vorträgen, aber auch in Hintergrundgesprächen, die in diesem Umfeld stattfinden, werden Sachlagen dargestellt, mögliche Konsequenzen von Entscheidungen verdeutlicht und auch durch Vergünstigungen Entscheidungen beeinflusst. Umgekehrt fliessen auch Informationen zu den Lobbyisten zurück. So dass sich das Engagement durch den Informationsvorspruch wieder auszahlt.
Es besteht ein Geben und Nehmen, welches z.B. von Lobbycontrol wie in grossen Teilen der Bevölkerung sehr kritisch beobachtet wird und für zunehmenden Unmut sorgt.
In wieweit ist das nun legitime Interessenvertretung oder liegt schon eine Gefährdung demokratischer Grundprinzipien vor? Die Grenze dürfte breit und fliessend, gleichzeitig schwer zu ziehen sein.
Lobbyisten stehen unter kritischer Beobachtung der Bevölkerung, vor gesetzlicher Regulierung müssen sie sich allerdings kaum fürchten. Sitzt doch ihre Lobby-Klientel direkt an den Schalthebeln der Schweizer Gesetzgebung.
Autor: Wojtek Bernet auf ConvivaPlus.ch
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