Schweiz-EU: Bilaterale Verträge, Abkommen & Personenfreizügigkeit

Die Schweiz zwischen Abgrenzung und Offenheit zur EU.


Innerhalb der Schweiz gibt es das Unwort «Euro-Turbo»: Damit werden Menschen bezeichnet, die sich mehr als 60 Jahre nach der Gründung der EU für eine Mitgliedschaft der Eidgenossenschaft in der Europäischen Union (EU) aussprechen. Tatsächlich sind die Beziehungen zur EU ein kontrovers diskutiertes Langzeit-Thema. Nachdem Volk und Stände innerhalb der Initiative «Gegen Masseneinwanderung» das Personenfreizügigkeitsabkommen im Februar 2014 aufgekündigt haben, stehen auch diverse bilaterale Verträge zur Disposition. Dahinter steht auch die Frage nach den Möglichkeiten der Schweiz, Zuwanderungsbewegungen aus der EU zu reglementieren, ohne bestehende zwischenstaatliche Vereinbarungen in Gefahr zu bringen.

Inhalte:

EU und Schweiz

 

Beziehung der Schweiz und EU

Zwischen Abgrenzung und Offenheit.
Die Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union werden sowohl durch Nähe als auch durch Distanz gekennzeichnet.

 

Die Geschichte der Schweiz-EU:

In den 1950er Jahren war mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG ein europäischer Markt entstanden. Schon damals distanzierte sich die Schweiz vom Vorläufer der Europäischen Union. Sie wollte sich an der neu entstandenen Staatengemeinschaft nicht beteiligen.

Andererseits wurde die Schweiz als Gründungsmitglied der Europäischen Freihandelszone EFTA aktiv.

Der ökonomische Zweckverbund EFTA regelte ab 1960 den Verkehr von Waren zwischen den Mitgliedern der Organisation. Hinsichtlich Integration waren EWG und EFTA nicht vergleichbar, in puncto zwischenstaatlicher Integration leistete die EFTA nichts.

Zu Beginn der 60er hatte es ein zaghaftes Assoziationsgesuch der Schweiz in Richtung EWG gegeben. Nach dessen Scheitern wurden sämtliche Wirtschaftsbeziehungen auf der Basis bilateraler Verträge geregelt.

 

EWR - Der Europäische Wirtschaftsraum:

Als sich 1992 EFTA und EWG zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR vereinigten, distanzierte sich die Schweiz in einer geschichtsträchtigen Volksabstimmung erneut vom Konstrukt einer möglichen Europäischen Union. Die Schweiz lehnte den Beitritt zum EWR ab, um auf dem bilateralen Weg zu bleiben. Den wollte die Schweiz mit einem eigenständigen Nachvollzug von EU-Recht kombinieren:

Die Eidgenossenschaft wollte Verträge mit der EU abschliessen und sich zugleich das Recht offenhalten, Schweizer Recht und EU-Recht individuell anzupassen.

Daraus resultierten verschiedene Abkommen. Augenfällige Besonderheiten dieser teilweisen Assoziation an den europäischen Binnenmarkt sind bestimmte Besonderheiten innerhalb der sogenannten «Bilateralen I.»: Enthalten ist hier unter anderem ein Abkommen zur Freizügigkeit von Personen und Dienstleistungen mit einer Art Guillotine-Klausel.

Dieser Vertragsklausel entsprechend würden nach der Kündigung eines einzigen Abkommens innerhalb des Vertragspakets sechs Monate später alle anderen Verträge platzen.

 

Sonderstatus Schweiz - Kommt ein Vertragsbruch?

Wie sieht die nahe Zukunft aus? Entstehen aus dem Schweizer Sonderweg neue Probleme? Erweist sich die schweizerische Festung, die überwiegend ökonomische Präferenzen setzt und die direkte Demokratie kultiviert gar als kontraproduktiv? Fakt ist: Der Schweiz stehen neue Volksabstimmungen bevor, welche unmissverständlich die Aufkündigung der Bilateralen Verträge zum Ziel haben. Für Zündstoff und Konfliktpotential mit der EU ist gesorgt.

Immerhin konnte der Bundesrat die umstrittene Masseneinwanderungsinitiative nach langer Zwängerei doch noch EU-konform umsetzen. Die Schweiz beschloss eigens hierfür neue Regelungen in der schweizerischen Bundesverfassung zu verankern. Die Regeln betreffen die Gültigkeit von Zuwanderungskontingenten auch Staaten der EU und der EFTA gegenüber. Dazu kommt der Inländervorrang. Weshalb eigentlich alle bilateralen Verträge angepasst werden müssten. Das Abkommen zur Freizügigkeit von Personen wird so grundlegend infrage gestellt.

Für die EU gibt es keine Zweifel: Veränderungen, wie es die MEI 1:1 verlangt, widersprechen den Grundsätzen der Personenfreizügigkeit. Für die EU träte unweigerlich ein Vertragsbruch ein.

Folglich will die Europäische Union mit der Schweiz nur dann weiter verhandeln, wenn klar ist, wie die Eidgenossen zukünftiges EU-Recht behandeln wollen. Dazu kommen die Veränderungen des europäischen Binnenmarktes auf sozialem Gebiet und im Segment der Aussenbeziehungen. In der globalisierten Welt von heute sind jahrzehntealte Freihandelsabkommen regelrechte Auslaufmodelle. Demzufolge ist auch die teilweise Assoziation der Schweiz überholt.

 

Schweizer Optionen

Ein Zukunftsmodell wäre die vollkommene Assoziation. Eine andere Möglichkeit ist die Teilassoziation über verbrieftes bilaterales Recht.

Dabei wirken die Konsequenzen der Volksinitiative verheerend. Eine Rettungsalternative nahe der Schweizer Verfassung oder sogar neue bilaterale Verträge nach schweizerischem Gusto sind kaum vorstellbar. Andererseits wäre eine erneute Volksbefragung zum Thema Masseneinwanderung riskant. So würden also zusammen mit der Kündigung des Freizügigkeitsabkommens zahlreiche bilaterale Verträge wegfallen.

Das wäre nicht nur Gift für die schweizerische Ökonomie, sondern für die gesamte Gesellschaft – der Zugang zum EU-Binnenmarkt würde gekappt.

Also tangiert das Ergebnis der Volksbefragung zur Masseneinwanderung die Grundlagen der bilateralen Verträge:

  • freier Kapital- und Zahlungsverkehr,
  • freier Warenverkehr und
  • Dienstleistungsfreiheit.

Andere politische Kräfte wollen die Zuwanderung vollkommen neu aushandeln – möglichst ohne Beschädigung bestehender Abkommen. Daran hat wiederum die EU kein Interesse. Besonders Kontingente und Inländervorrang sind nicht akzeptabel. Volksentscheide sind ehernes Gesetz - die Lösung des Problems gleicht also der Quadratur des Kreises und so diskutieren Politiker und Sachverständige unter Federführung der selbsternannten konservativen Denkfabrik Avenir Suisse diverse Wege aus dem Dilemma. Sie umfassen unter anderem die Ausformulierung neuer europapolitischer Leitsätze bis hin zur kontingentierten Zuwanderung aus Drittstaaten unter Beibehaltung der EU-Freizügigkeit.

 

Das Ende der Isolation

Die bilateralen Verträge zwischen der EU und der Schweiz sind nicht mehr zeitgemäss. Volksreferenden sind in der Lage, das Gesamtkonstrukt ins Wanken zu bringen; ein Vertragsbruch kann die Gesamtheit bilateraler Verträge hinfällig machen. Es ist höchste Zeit, den europapolitischen Weg der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu modernisieren.

Aus der Alpenfestung muss ein moderner, offener Staat werden. Es ist schwierig, dem Unbehagen unter der Schweizer Bevölkerung Rechnung zu tragen und gleichzeitig das Vertragswerk mit der EU anzupassen.
Aber schwierig ist nicht unmöglich.

Die wichtigsten Fakten über die bilateralen Verträge / Beziehungen zwischen der Schweiz und EU.

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(Last updated: 13.12.2017, 18:52)