Kanton Zürich soll ein Grundeinkommen (BGE) bekommen

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Der Kanton Zürich soll einen neuen Anlauf zum bedingungslosen Grundeinkommen starten.

Das fordert der ehemalige SP-Kantonsrat Urs Kaltenrieder aus Regensdorf ZH und reichte im Zürcher Kantonsrat eine entsprechende Einzelinitiative ein. Die Initiative will einen wissenschaftlich begleiteten Modellversuch zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) für den Kanton Zürich durchführen.

Inhalte:

 

 

Bedingungsloses Grundeinkommen für Zürich

Im Wortlaut und basierend auf der Zürcher Kantonsverfassung fordert die Initiative: «Der Kanton Zürich führt im Zusammenhang mit der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens einen wissenschaftlich begleiteten Modellversuch durch, der die Auswirkungen auf einzelne Bürgerinnen und Bürger sowie auf Gesellschaft, Wirtschaft und Staat analysiert. Er publiziert die Ergebnisse allgemeinverständlich in einem an die Öffentlichkeit adressierten Bericht.»

Laut dem Initianten verfüge Zürich nämlich über die optimalen Voraussetzungen für ein solches Feldforschungsprojekt, sowohl was wirtschaftliche als auch gesellschaftliche und wissenschaftliche Faktoren anbelangt. Der BGE-Versuch hat zum Ziel, Chancen aber auch Risiken sowie Folgen auf das Ökosystem aufzeigen. «Der Rückgang von Erwerbsarbeitsplätzen erfordert neue Strukturen und Lebensentwürfe», erklärt der Alt--Kantonsrat gegenüber der «NZZ».


Hier geht es direkt zur
Einzelinitiative «Modellversuch: Bedingungsloses Grundeinkommen».



 

 

Begründung für ein BGE

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«Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) ist nicht neu und wird im Zusammenhang mit möglichen Konsequenzen der Digitalisierung auch auf internationaler Ebene breit diskutiert. Die Digitalisierung hat sich sowohl in der Wirtschaft wie auch in vielen gesellschaftlichen Bereichen durchgesetzt. In der Industrie, im Dienstleistungssektor wie auch in der öffentlichen Verwaltung werden zunehmend Menschen durch Automaten ersetzt. So werden z.B. im Automobil- und im Finanzdienstleistungssektor zurzeit massenhaft Arbeitsplätze abgebaut. Deshalb werden in den Industrienationen viele Versuche unternommen, um die Auswirkungen dieses Wandels zu erforschen und ihre negativen Folgen für die Gesellschaft zu neutralisieren. National und international wurden zahlreiche Initiativen ergriffen, um die unerwünschten Nebenwirkungen der Digitalisierung abzufedern. In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Idee des BGE als Lösungsansatz für einen sanften und sozialverträglichen gesellschaftlichen Wandel hervorgehoben.

Am 5. Juni 2016 konnten die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über die Volksinitiative vom 4. Oktober 2013 «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» abstimmen. Bei einer Stimmbeteiligung von 46.95% wurde dieses Volksbegehren mit 76,9% Nein-Stimmen abgelehnt. In der Stadt Zürich stimmten einzig der Wahlkreis 4 + 5 diesem Begehren mit 54,7 Prozent zu.»

«Das Parlament der Stadt Zürich hat am 22. November 2017 mit 61 Ja- zu 59 Nein-Stimmen ein Postulat für ein Pilotprojekt zum BGE überwiesen. Im Juni 2018 wurde auch in der Gemeinde Rheinau (Kt. Zürich) ein konkreter Versuch unternommen, um das BGE auf kommunaler Ebene zu testen. Aufgrund von Finanzierungsproblemen konnte das Pilotprojekt nicht gestartet werden. Fast im gleichen Zeitraum wurde in Finnland mit 2‘000 Menschen ohne Erwerbsarbeit ein Experiment zum gleichen Thema durchgeführt. Diesen zufällig ausgewählten Personen wurden monatlich 560 Euro ausbezahlt, was in etwa dem Arbeitslosengeld in Finnland entspricht. Die Probandinnen und Probanden im Alter zwischen 25 und 58 Jahren mussten das Geld nicht versteuern und durften ohne Abzüge und Auflagen Lohn in Teilzeitjobs hinzuverdienen. Am 31. Dezember 2018 endete das Experiment. Mit diesem Feldversuch gelang es, zwei grundlegende Erkenntnisse bezüglich BGE zu gewinnen. Einerseits fanden arbeitslose Menschen weder besser noch schlechter Arbeit, andererseits fühlten sie sich jedoch glücklicher. Mit Blick auf die jüngste Entwicklung in Island ist dieses Ergebnis beachtenswert. Die isländische Regierung stellt das Wohlbefinden der Menschen über das wirtschaftliche Wachstum. Sie fordert eine «alternative Zukunft auf der Grundlage von Wohlstand und Wachstum, an dem alle teilhaben können». Die ausschliesslich ökonomischen Daten des Bruttoinlandprodukts sollen deshalb in Zukunft mit sozialen und ökologischen Kennzahlen ergänzt werden.»

 

 

Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft sind voneinander abhängig und beeinflussen sich

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«Am 2. Dezember 2019 wurde in Madrid die 25. UN-Klimakonferenz mit einem eindringlichen Aufruf nach mehr Klimaschutz eröffnet. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, sprach von einem «Krieg gegen die Natur», der beendet werden müsse. «Wenn wir nicht schnell unseren Lebensstil ändern, gefährden wir das Leben an sich.» Offensichtlich geht der UNO-Generalsekretär davon aus, dass durch einen raschen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel die globale Umweltkrise innert nützlicher Frist überwunden werden könne.

Im Zuge der Klimadiskussion gibt es Anzeichen für einen gesellschaftlichen Wandel. Die Wirtschaft reagiert darauf mit einem technologischen Innovationsschub, welcher mit dem Begriff «Industrie 4.0» umschrieben wird. Den Kern der «Industrie 4.0» bilden zwei Entwicklungstendenzen: Vernetzung und Selbststeuerung. «Industrie 4.0» beinhaltet praktisch die Digitalisierung der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Diese Technologie hat sich z.B. bei der Fahrzeugkonstruktion, im Maschinenbau oder im Transportwesen bezüglich Energieeffizienz bewährt. Die bisherigen Erfahrungen mit «Industrie 4.0» in der Automobilbranche zeigen aber auch, dass mit dieser Entwicklung ein grosser Abbau von Arbeitsplätzen verbunden ist. Ein aktuelles Beispiel: Der Umbruch im Automobilsektor ist eine direkte Folge der Diskussionen über den Klimawandel. Weil die Nachfrage auf E-Autos steigt, gehen in Produktion und Unterhalt dieses grossen Wirtschaftssektors rund 14% der Arbeitsplätze verloren (Quelle: Studie der Universität Duisburg-Essen). Dieselbe Studie kommt auch zum Schluss, dass dieser markante Arbeitsplatzverlust in anderen Wirtschaftssektoren nicht kompensiert werden könne. Um die vereinbarten Klimaziele erreichen zu können, müssen die Wachstumsziele bei Angebot und Nachfrage in Wirtschaft und Gesellschaft konsequent von der Quantität zur Qualität verlagert werden.»


 

 

Ein Rückgang von Erwerbsarbeitsplätzen erfordert neue Strukturen und Lebensentwürfe

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«Anerkannte Ökonominnen und Ökonomen gehen davon aus, dass in absehbarer Zukunft viele Menschen ihren Lebensunterhalt nicht mehr über Erwerbsarbeit sicherstellen können. Um der Verknappung von Erwerbsarbeit sozialverträglich zu begegnen, findet die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) als zukunftsfähiger Lösungsansatz immer mehr Zuspruch. Mit der Einführung des BGE würde allen Bürgerinnen und Bürgern ein staatlich garantiertes und existenzsicherndes Einkommen ausbezahlt. Durch das BGE würden bis auf wenige Ausnahmen die anderen sozialen Leistungen, wie z.B. das Arbeitslosen- oder das Kindergeld, etc. entfallen. Das Besondere am BGE ist, dass die Zahlungen auch bei einer Erwerbstätigkeit fortgesetzt würden. Dieser Umstand würde den Kontrollaufwand der staatlichen Verwaltung sowie die Bürokratie im Sozialwesen markant eindämmen und finanzielle Mittel und Arbeitskapazitäten für gemeinnützige Aktivitäten in Gesellschaft und Umwelt freisetzen. Die Debatte rund um den Fragenkomplex des BGE hat erst begonnen. Sie wird vorwiegend theoretisch geführt, weil es - abgesehen vom erwähnten finnländischen Versuch - kaum praktische Erfahrungen bei der Umsetzung dieses Ansatzes gibt. Nach den Vorstelllungen von renommierten Ökonomen, wie z.B. Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, muss das «Bruttoinlandprodukt» (eine aus dem 17. Jahrhundert stammende Messgrösse zur Erfassung der gesamten wirtschaftlichen Leistung einer Volkswirtschaft in einer Periode) durch ein neues Instrumentarium ersetzt werden, welches die Folgen von Klimawandel, sozialer Ungleichheit, digitalen Dienstleistungen sowie anderen Phänomenen, welche moderne Gesellschaften prägen, erfasst. Länder wie das Himalaja-Königreich Bhutan haben sich bereits von reinen wirtschaftlichen Messwerten verabschiedet. Bhutan erfasst mittels Fragebogen bei seinen Einwohnerinnen und Einwohnern das sogenannte «Bruttonationalglück». Dieser Messwert ist seit 2008 in der Verfassung als Alternative zum Bruttoinlandprodukt verankert. Er misst nicht bloss subjektives Wohlbefinden und Glück, sondern auch soziale und ökologische Lebensumstände, wie sie sich für die unmittelbar davon Betroffenen darstellen (Tages-Anzeiger/Wirtschaft vom 7.12.2019).»

 

 

Ist das BGE kostenneutral über das Sozialbudget zu finanzieren?

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«Betrachtet man die Geldmengen, die in Deutschland im Umlauf sind, scheint ein Grundeinkommen umsetzbar. So entspricht die benötigte Summe des Grundeinkommens ziemlich exakt dem Sozialbudget der Bundesrepublik. Für das Jahr 2016 waren das 918 Milliarden Euro. Darin sind sämtliche Geld- und Sachleistungen eingerechnet, die zur Absicherung der Bürger dienen, selbst erwirtschaftete Renten und geleistete Sozialabgaben inklusive. Das Volkseinkommen, also die Summe aller produzierten Waren und Dienstleistungen, belief sich im Jahr 2016 sogar auf 2,3 Billionen Euro. Die Situation in der Schweiz dürfte in etwa vergleichbar sein. Das Geld wäre also vorhanden, nur ist es derzeit anderweitig gebunden. Generell lautet eine der grössten ungeklärten Fragen, wie sich die Übergangsphase finanzieren lässt. Wenn jede Person monatlich ein Grundeinkommen bekommt, würden die heutigen Sicherungssysteme irgendwann obsolet - mit Folgen: Statt auf die staatliche Sozialhilfe zu zählen, müsste jede Person für sich selbst sorgen und mit seinem Grundeinkommen seine Existenz sichern. Es ist davon auszugehen, dass nicht alle Menschen die dafür erforderliche Selbstverantwortung in vollem Umfang wahrnehmen können. Deshalb braucht es auch in Zukunft private und staatliche Einrichtungen, welche individuelle Unterstützungsleistungen und Hilfe zur Selbsthilfe anbieten.»

 

Hauptsächliche Pro-und Contra-Argumente für bzw. gegen das BGE

Auswirkungen für: Pro-Argumente: Contra-Argumente:
Einzelpersonen • schafft Voraussetzungen für individuelle Freiheit  und  Selbstverwirklichung

• freiwilliges soziales Engagement, wie: Jugend- oder  Kirchenarbeit und andere nicht entlöhnte Tätigkeiten, wird indirekt honoriert
• kommt einer Giesskannen-Förderung gleich, weil nicht geschaut  wird, wer wirklich bedürftig ist und wer im Einzelfall sogar über den Grundbetrag hinaus Unterstützung benötigt
Staat • vereinfacht das Steuer- und Sozialsystem  und  senkt  die  öffentlichen  Verwaltungskosten erheblich • mit der Einführung des BGE würden viele Arbeitsplätze in der Verwaltung geopfert

• langfristige  Kosten eines solchen Systems sind nicht absehbar und daher eine Finanzierung alles andere als gesichert
Wirtschaft • durch BGE entstehen ganz neue und kreative Berufe, was sich auf die Gründung von neuen Firmen positiv auswirkt • kaum jemand  will noch anstrengende und schlecht bezahlte Jobs machen

 

 

«Die einzige Gewähr für das Wissen ist das Können» (Paul Valéry, Philosoph)

«Die Diskussionen über das BGE erwecken den Eindruck, dass Befürwortende und Kritisierende grundsätzlich von verschiedenen Menschenbildern ausgehen. Die einen sehen die motivierte arbeitswillige Person, während die anderen davon ausgehen, dass der Mensch Leistungsdruck und Wettbewerbsanreize benötigt, um produktiv tätig sein zu können. Fakt ist, dass heute kaum jemand die Chancen und Risiken einer Umsetzung der Idee des BGE seriös beurteilen kann. Ein Modellversuch in einer Versuchsanlage mit repräsentativer Beteiligung aus allen Bevölkerungsgruppen und sozialen Schichten würde eine faktenbasierte Klarheit schaffen.

Seit die Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» eingereicht wurde, ist relativ viel Zeit vergangen. Mit Blick auf den bevorstehenden Wandel kann ein repräsentativer Versuch mit dem BGE wegweisend sein. Der Kanton Zürich verfügt sowohl gesellschaftlich, wirtschaftlich wie auch wissenschaftlich gesehen über optimale Voraussetzungen für ein Feldforschungsprojekt zur Umsetzung desBGE mit seinen Chancen und Risiken wie auch seinen Auswirkungen auf das Ökosystem.»


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Einzelinitiative «Modellversuch: Bedingungsloses Grundeinkommen».


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(Last updated: 30.01.2020, 09:08)