Neutralitätspolitik: Das Geschäft mit der Schweizer Neutralität

Das lukrative Geschäft mit der Schweizer Neutralität. Ein Überblick.


Neutralitätspolitik der Schweiz auf den Punkt gebracht: Ein Staat ist neutral, wenn er sich grundsätzlich nicht in Konflikte zwischen anderen Staaten einmischt. Mit Ausnahmen.
 

Die schweizerische Neutralität beruht auf einer jahrhundertealten Tradition: Im Jahr 1515 unterlagen die Eidgenossen den Franzosen in der Schlacht bei Marignano - ein Ende eidgenössischer Machtpolitik war damit besiegelt worden. Es sollte allerdings bis zum Wiener Kongress 1815 dauern, bis die Neutralität der Schweiz völkerrechtlich anerkannt wurde. So ist die Schweiz gemeinsam mit dem Königreich Schweden das älteste neutrale Land Europas. Allerdings erscheint der aussenpolitische Grundsatz der Nichteinmischung heute veraltet.

Inhalte:

 




Wie viel Neutralität geht noch?

Die aktuelle Situation ist ein Paradoxon: Mit dem Irakkrieg zu Beginn der 1990er Jahre (Zweiter Golfkrieg) begann die schrittweise Lockerung der schweizerischen Neutralitätsgrundsätze. 1999 beteiligte sich die Eidgenossenschaft sogar mit eigenen Truppen an den Friedensmissionen im Kosovo. Später war die Schweiz gar mit Offizieren im Dienst der NATO in Afghanistan (ISAF) beteiligt. Trotzdem wird international kritisiert, wenn die Eidgenossen aufgrund ihrer verbrieften Neutralität abwägen, ob sie ausländischen Armeen gewisse Transitrechte einzuräumen bereit sind, während sich das Ausland mit der Zusammenstellung von Friedenstruppen befassen muss.

Der Wandel: Dennoch hat die Schweiz in den letzten Jahrzehnten einen bemerkenswerten Wandel vollzogen. Die absolute Neutralitätspolitik aus Zeiten des Kalten Krieges wurde peu à peu zugunsten einer vorsichtigen Öffnung des Landes fallen gelassen; die Schweiz ging einige sicherheitspolitische Kooperationsbeziehungen ein. Auch mit dem transatlantischen Militärbündnis unter Federführung der USA (NATO) arbeitet die Schweiz heute zusammen, obschon sie kein offizielles Mitglied ist.

 

Die Ursachen des Wandels:

1991: UNO-Truppen sollen Sadam Husseins Truppen aus dem annektierten Kuwait vertreiben – und die Schweiz verweigert ihnen die Überflugrechte. Internationale Vorwürfe trafen die Eidgenossenschaft darauf so heftig, dass sie wenige Jahre später zu Zeiten des Bosnienkrieges militärische Überflüge anstandslos ermöglichte.


Überflugrechte für ausländische Truppen: Dieses Verhalten der Schweiz ist seitdem Usus, vorausgesetzt UN-Mandate vorliegen.
 

Ausserdem beteiligt sich die Schweiz heute analog zu den Staaten der Europäischen Union (EU) an nicht militärischen UN-Sanktionen.

 

Internationale Friedenstruppen:

Die neue schweizerische Neutralitätspolitik ist also weniger dogmatisch – internationale Reputation generiert sie dennoch nicht. Die Ursachen liegen im Verhalten anderer neutraler Staaten. Im Vergleich zu zaghaften schweizerischen Zugeständnissen legen die sich richtig ins Zeug:


Soldaten Österreichs gingen nach Zypern, finnische Truppen nach Mazedonien und beide beteiligten sich gemeinsam aktiv an den Friedenstruppen in Bosnien. Schweden schickte Hunderte Soldaten nach Nordafghanistan und diverse Jagdflugzeuge innerhalb der Libyenkrise.
 

Und die Schweiz? Sie will ein bisschen weniger neutral sein und gewährte Militärfahrzeugen aus Grossbritannien die Erlaubnis zum Transit. Derartige geopolitische Petitessen waren einigen Innenpolitikern in Bern schon viel zu viel: Sie kritisierten vehement die Aufweichung der strikten Neutralitätsprinzipien aus den Zeiten des Kalten Krieges.

 

Neutralitätspolitik: Ökonomisch drin – politisch draussen:

Der Begriff der Neutralität ist zunächst positiv besetzt. Aber beinhaltet er nicht lediglich die Absicht, die geopolitischen Klippen möglichst unbeschadet zu umschiffen? Dazu sind die Rechte und Pflichten übersichtlich:

  • keine Partei ergreifen,
  • den Ausbruch eines Konflikt keinesfalls unterstützen,
  • konformes Verhalten an den Tag legen, um die eigene Neutralität nie und nimmer zu kompromittieren.

Dazu ist es den neutralen Staaten heute erlaubt, Massnahmen des UN-Sicherheitsrates zu unterstützen – denn die UN-Charta rangiert oberhalb des Völkerrechts.


Alles andere ist Interpretationssache – und in der Schweiz war Neutralitätspolitik immer schon auch Wirtschaftspolitik.
 



Waffenexporte an Nazi-Deutschland:
Die Schweiz lieferte 84% aller
Ausfuhren ans Dritte Reich

Waffenexporte und Neutralität beissen sich.
Insbesondere Lieferungen von Kriegsmaterial
an kriegführende Länder. Die Neutralitätspolitik,
auf die sich die Schweiz seit jeher beruft, verkommt
genauer betrachtet zum reinen Businessmodell.
 

 

Die Neutralität als gewinnbringendes Geschäft:

So hatten vermeintlich neutrale schweizerische Unternehmen zu Kriegszeiten stets offene Hintertürchen für Handel und Wandel mit den Kriegsparteien, ohne nach Kriegsende geächtet zu werden.


Die Rendite zählt: Neutralität wurde zu barem Geld für die Schweiz - und damit zum Trumpf zur Einfädelung neuer lukrativer Geschäfte, im Schafspelz der Neutralitätspolitik.
 

Neutralitätsrenditen locken selbstverständlich auch heute noch. Dazu unterscheidet man neutralitätspolitisch fein säuberlich zwischen:

  • unzulässiger politischer Integration
  • und zulässiger wirtschaftlicher Integration.


Während der Beitritt zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) als neutralitätswidrig eingeordnet wurde, galten GATT- bzw. OECD-Mitgliedschaften der Schweiz als akzeptabel. Vermieden werden militärische Beiträge, die über das Réduit-Gedankengut hinausgehen - denn die gute alte Alpenfestung ist ebenso heilig wie das schweizerische Neutralitätsdenken insgesamt.


Schliesslich sorgt der Neutralitätsgedanke - ein vermeintlliches Sinnbild für Friedensliebe und politische Umsicht - für ein nationales Solidaritätsgefühl.
 



Die Schweiz beliefert
64 Länder mit Kriegsmaterial

Das sind 33% aller weltweiten Länder,
darunter mind. 4 kriegführende Länder
und auch radikale Scharia-Staaten ...
 

 

Das Versteck:

Diese Verständnis von Neutralität war für viele Menschen im Zweiten Weltkrieg eine massive Gefahr. Die Schweiz versteckte sich hinter ihrer Neutralität und wies zahlreiche jüdische Flüchtlinge von ihren Grenzen ab, was zunächst innenpolitisch als Pragmatismus galt und den Eidgenossen international noch Jahrzehnte später vorgeworfen wurde. Bis heute deutet die Schweiz Neutralität ethisch – und bietet international dauernd „gute Dienste“ an. Anschliessend wundert sie sich zunächst über die mangelnde Inanspruchnahme, um sich zugleich vor der Realität wiederum zu verstecken. Gut vernetzte Staaten wie Kanada oder Norwegen sind auch ohne Neutralität hervorragende internationale Vermittler.


Neutralität als Gütesiegel: Immer noch gilt Neutralität so manchem Eidgenossen als politisch klug, als wirtschaftlich profitabel und moralisch unangreifbar.
 

Dass die Friedenslasten der Europäer auch unter schweizerischer Beteiligung gesichert werden müssen, ist vielen Schweizern nicht klar.

 

Die Aktivierung:

Dennoch geht es in minimalen Schritten vorwärts: Schon der 2002er UNO-Beitritt und die Friedensoperationen im Kosovo (SWISSCOY) unter UN-Mandat waren Lichtblicke.

Notwendig ist eine Änderung der alten Neutralitätspolitik allemal. Denn die Staaten Europas sind auf die Dauer nicht bereit, Frieden und Freiheit der Schweizer ohne nennenswerte Gegenleistungen abzusichern. Das kleine Territorium des Landes ist unwichtig. Was zählt ist das geopolitische und das ökonomische Gewicht des Landes.

 

Ein Resümee:

Die Schweiz hängt ökonomisch vom Ausland ab, auch von der nicht sehr geschätzten EU – nicht das Ausland von der Schweiz.

Abhängigkeit der Schweiz: Ihr Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird vom Überschuss der Auslandsaktiva den Passiva gegenüber übertroffen – eine Manifestation wirtschaftlicher Verflechtungen mit dem Ausland.


Dazu gilt die Schweiz sicherheitspolitisch als Trittbrettfahrer und egoistischer Friedensprofiteur. Ihr Image leidet, enge Partnerschaften existieren nicht, weil sie Konflikte scheut und sich gleichzeitig die Rosinen der internationalen Integration herauspickt.
 

Es ist an der Zeit, die internationale Akzeptanz der Neutralität realistisch einzuschätzen. Als Anachronismus wird sie nur noch hingenommen, internationale Wertschätzung erfährt die Neutralität der Schweiz nicht.

Die Schweden machen es vor: Neutralität steht der Übernahme verlässlicher Beiträge zur Friedenssicherung nicht im Wege. Dagegen hat das allfähige Anpreisen „guter Dienste“ mit aktiver Neutralität nicht viel zu tun.


Moderne Neutralität: Die Schweiz muss ihre Neutralität an die Rahmenbedingungen unserer globalisierten Welt anpassen. Neutral sein, heisst auch keine Waffengeschäfte mehr mit Saudiarabien, das nachweislich staatlich verordnete Menschenrechtsverletzungen begeht. Keine Option ist eine Annäherung zur NATO.
 

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(Last updated: 05.04.2018, 00:05)